Wie die Moskauer Stadtverwaltung Demonstrationen nicht genehmigt

1) Die “Libertäre Partei“ meldet eine Demonstration für freie Wahlen in die Stadtduma für den dritten August und als Versammlungsort den Lubjanskaja-Platz an ==>
2) die Stadtverwaltung schlägt einen alternativen Ort (Sacharow-Prospekt) vor ==>
3) die Antragsteller lehnen diesen Vorschlag ab und bieten drei weitere Alternativen an ==>
4) die alle von der Regierung abgelehnt werden ==>
5) nach den Verhandlungen, wird Michail Swetow, eine Führungsfigur der “libertären Partei“, verhaftet ==>
6) der Moskauer Bürgermeister Sobjanin warnt die Bevölkerung der Hauptstadt vor “Provokationen“
(Quelle: Meduza)

Der bei den gestrigen Protesten festgenommene oppositionelle Politiker Aleksej Nawalnyj erlitt in der Arrestzelle einen “allergischen Schock“(so die Polizei) und musste in ein Gefängniskrankenhaus überführt werden. Dort wird er von mehreren Polizisten bewacht, die u.a. seine behandelnden Ärztinnen nicht zu ihm durchließen, obwohl diese die Sorge äußerten, es könnte eine Vergiftung vorliegen.

Abgeordnete, Banditen = abgeordnete Banditen

Am 15. Juli wurde in Moskau der “Dieb im Gesetz”(=hochrangiger Krimineller) Oleg Schischkanow fesrgenommen . Er wird beschuldigt, “die höchste Hierarchie in einer organisierten kriminellen Vereinigung” eingenommen zu haben und am Mord an Tatjana Sidorowa, einer Abgeordneten der Gesetzgebenden Versammlung des Bezirks Rameno, beteiligt gewesen zu sein.
Sie und ihr Ehemann waren Geschäftspartner von Schischkanow.
Jetzt der Clou: Zahlreiche Abgeordnete der Duma haben sich jetzt dafür eingesetzt, dass Schischkanow freikommt.
Sind alle wohl auch “Geschäftspartner”.

Three billboards outside the Kremlin, Moscow

“Die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa wurde vor zehn Jahren ermordet“
“Die Auftraggeber und Ausführer sind immer noch nicht ermittelt“
“Wie kann das sein, Herr Präsident?“

Die abgebildeten Personen*, die heute auf dem Roten Platz Estemirowa, der Vizevorsitzenden von Memorial Tschetschenien gedachten, wurden von der Polizei festgenommen
(*der Vorsitzendes des Rates von “Memorial“ Aleksandr Tscherkasow, Mitglied des Rates von “Memorial“ Swetlana Gannuschkina, Journalistin der “Nowaja Gaseta“ Jelena Milaschina;
Quelle: OWD-Info, Foto: Telegram-Kanal “Открытая редакция” (“Offene Redaktion“)
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In Petersburg werden den gesamten letzten Monat die unabhängigen Kandidat*innen für die Wahl in die Petersburger Gesetzgebende Versammlung aktiv und mutwillig daran gehindert, die geforderten Unterlagen in den Wahlämtern einzureichen. Einige Male wurden ihnen buchstäblich die Türen verbarrikadiert, als sie zur Anmeldung kamen.
Gleichzeitig ist klar, dass der momentane Bürgermeister Bjeglow, ein Schützling und Wunschkandidat des Kreml, unterirdische Zustimmungswerte hat. Ein solches “Heranziehen administrativer Ressourcen”, d.h. direkte Einflussnahme auf die Wahlämter, Nötigung von Stastsbediensteten, die Stimme für den “richtigen” Kandidaten abzugeben,
Fälschen von Unterschriften der Wähler*innen,
um überhaupt als Kandidat registriert zu werden, horrendes “Ausstechen” der Konkurrenz stellt seine einzige auf den “Wahlsieg” dar.

In Moskau wurde niemand von den unabhängigen Kandidat*innen, zur Wahl zugelassen. Die vielen tausend Stimmen, die monatelang eingesammelt wurden (und die mit zerknitterterten, mehrmals gefalteten, also sichtlich benutzten Listen nachgewiesen werden können), wurden von den Wahlämtern als nichtig erklärt.
Momentan findet in Moskau eine Demonstration gegen dieses Unrecht statt.
Festnahmen gibt es wohl keine.
UPD. Die Polizisten sind gegen Abend (19h) wohl doch zur Gewalt übergegangen und nehmen Protestierende mit.
So wurde unter anderem Ljubow Sobol, eine unabhängigke Kandidation und Juristin des “Fonds zur Korruptionsbekämpfung”, festgenommen. Kurz zuvor hat sie Angekündigt, wegen ihrer Nichtzulassung als Kandidatin in den Hungerstreik zu treten.
Ein anderer bekannter oppositioneller Kandidat, Ilja Jaschin, wurde ebenfalls festgenommen.
OWD-Info meldet eingegangene Beschwerden über das brutale Vorgehen der Polizei, die die Protestierenden u.a. an den Haaren packte und ins Gesicht schlug. Es liegen Nasenbrüche und Gehirnerschütterungen vor.
UPD2 Stand 20:30 Ortszeit : in Moskau wurden 38 Menschen verhaftet (Quelle: OWD-Info)

Eurasien war nie im Krieg mit Ozeanien

Im russischen Fernsehen fand eine Sendung statt, deren Titel “Wir müssen reden!“ war. Moderiert wurde sie u.a. vom bekanntesten Talkshow-Host des Landes, Andrej Malachow. Thema der Sendung: das Verhältnis zwischen Ukrainern und Russen.
Zahlreiche russische Prominente kamen zu Wort, die die angebliche Freundschaft zwischen den beiden Völkern beschworen haben, die gemeinsame schöne Zeit in der UdSSR, die alten schönen Filme und sonstige aus der Mottenkiste herausgeholten (Kultur)Symbole der Vergangenheit.
Der Haupttenor der Gäste und Moderatoren war der, dass die Menschen trotz “temporärer Unstimmigkeiten auf der politischen Ebene“ doch eigentlich nur Frieden und Freundschaft wollen würden.
Vom in das fünfte Jahr gehenden Krieg Russlands gegen die Ukraine, zehntausenden getöteten Ukrainern, der durch Russland unter den Nagel gerissenen Krim, den Entführungen, Verhaftungen und Folter von Krimtateren, der allerschlimmsten Hetzpropaganda (die Mär vom “gekreuzigten Jungen in Slawjansk“ wurde m.W. gestern genau fünf Jahre alt) russischer Staatsmedien gegen die Ukraine und das ukrainische Volk wurde natürlich kein Wort verloren.
Schade eigentlich, denn in diesen Themen hätten die naiv ihre Liebe zur Ukraine beteuernden und mit Unverständnis auf das Fehlen einer gleichen Gegenliebe fragenden Gäste im TV Studio viele Antworten auf ihre vermeintliche Unwissenheit gefunden.
Ich bin mir sicher, dass Orwell seine helle Freude an der Show hätte.
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“Von Bord der International Space Station habe ich mit bloßem Auge gesehen, wie Bomben und Geschosse auf dem Gebiet des Donbass und Lugansk explodierten. Sie flogen aus der Richtung der ukrainischen Streitkräfte.”
Jelena Serowa, Mitglied der russländischen Delegation in der PACE, Dumaabgeordnete, Kosmonautin

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