5.03.1953

“Wir trinken auf Cheyne und wir trinken auf Stokes, wir trinken und stoßen drauf an!”(m.W. Folklore)

“Ein Klopfen an die Tür. Macht nichts, es ist unser Freund Geiss. Michail Franzewitsch Geiss, ein Landsmann von Anton, auch ein Kolonist aus der Krim. Er sieht nicht bloß aufgeregt, sondern nahezu erschüttert aus, was meine Verzweiflung nur verstärkt. “Wir können” seine Stimme klingt lächerlich-feierlich “Wir können uns endlich wieder Hoffnung machen!” und fügt, nun vollkommen ohne Logik hinzu: “Warum ist Ihr Radio aus? Machen Sie es an!””Mein Gott! Was ist nur los mit Ihnen?” […] Ohne zu antworten, geht er zur Wand und steckt den Stecker in die Steckdose. Und plötzlich höre ich durch knatternde Störungen… Was höre ich, Grundgütiger! “Eine Verschlechterung… Herzrasen… fadenartiger Puls…”In der Stimme des Sprechers, angespannt wie eine Saite, klingt eine zurückgehaltene Trauer an. Eine verzweifelte, unmögliche Vermutung durchfährt blitzartig meinen Verstand, doch ich wage es nicht, sie zuzulassen. Mit weit aufgerissenen Augen stehe ich vor Geiss, kann das Putztuch nicht loslassen, von dem Wasser tropft. “Wir gaben eine Meldung zur Krankheit…” Wegen eines Rauschens im Kopf, wie der Wellenschlag in der Bucht von Nagaewo, höre ich die aufgezählten Ämter und Titel nicht. Doch da, sehr deutlich: “… Josef Wissarionowitsch Stalin…”. Das saubere Putztuch fällt mir aus den Armen und in den Eimer mit dreckigem Wasser herein. Stille… […] Und wieder: “Wir geben die Meldung…” “Antoscha” sprach ich, mich an Antons Arm klammernd “Antoscha… Was ist… Was ist wenn er sich erholt?””Sag keine Dummheiten, Schenjuscha” schrie der erregte Anton beinahe “Ich kann wie ein Arzt sagen: Eine Genesung ist unmöglich! Hörst du? Cheyne-Stokes-Atmung… das ist eine Agonie…””Sie sind wie Kleinkinder” sprach Geiss mit eisiger Stimme “Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass man dem Volk von dieser Krankheit erzählt hätte wenn es noch eine Hoffnung auf Genesung geben würde? Wahrscheinlich ist er bereits tot.”Ich fiel mit den Händen auf den Tisch und weinte heftig los. Mein Körper wurde geschüttelt. Das war nicht nur die Entladung der letzten Monate und des Wartens auf die dritte Verhaftung. Ich weinte um zwei Jahrzehnte. In einem Augenblick flog alles an mir vorbei. Alle Folter und alle Gefängniszellen. Alle Hingerichteten und zu Tode gequälten. Und mein, mein eigenes Leben, welches durch SEINEN diabolischen Willen zerstört wurde. Und mein Junge, mein toter Sohn…Irgendwo dort, im für uns irrealen Moskau tat der blutige Götze des Jahrhunderts seinen letzten Atemzug- und das war das großartigste Ereignis für Millionen seiner noch nicht zu Ende gequälter Opfer, für ihre Freunde und Verwandten und für jedes einzelne kleine Leben. Ich gebe es zu: Ich weinte nicht bloß wegen der monumentalen historischen Tragödie, sondern um mich selber. Was hat dieser Mensch mit mir gemacht, mit meiner Seele, mit meiner Mutter…”Wie viel Uhr ist es?” fragte Geiss.”Zwölf” antwortete Anton “Es hat zwölf geschlagen. Bald werden wir frei sein…”(aus: Jewgenija Ginsburg : Gratwanderung. Eine Chronik der Zeit des Personenkultes, meine Übersetzung aus dem Russischen)

Kim Jung-un wurde von Wladimir Putin mit der Medaillie “75 Jahre Sieg im Großen Vaterländischen Krieg 1941-1945” ausgezeichnet. Laut des offiziellen präsidiellen Ukas(=Verfügung) zu dieser im Juni letzten Jahres gestifteten Auszeichnung, steht sie Personen zu, die an Kämpfen teilgenommen haben, Gefangenen von Ghettos (Ghetti?) und KZ’s sowie Staatsbürgern anderer Staaten, die in der Roten Armee gekämpft haben. Kim wurde 1984, somit trifft nichts davon auf ihn zu. Begründet wurde die Auszeichnung damit, dass sich Kim “in besonderem Maße um die Pflege und den Zustand sowjetischer Kriegsgräber verdient gamacht” habe. Meiner Meinung nach stellt diese Auszeichnung jedoch einen weiteren Höhepunkt in der Profanierung und dem Missbrauch der Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs durch den russländischen Staat dar.